3D-Text: Warnung vor Fitness-Ärzten!

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Animierte Grafik: Affe
Fachzeitschrift: Physiotherapeuten im LV Hessen, März 2000
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In Frankfurt, sicher aber auch in anderen deutschen Großstädten läßt sich bei einigen besonders geschäftstüchtigen und skrupellosen Ärzten ein neuer Trend beobachten, Privatpatienten oder vielmehr deren Versicherungsgesellschaften systematisch das Geld aus der Tasche zu ziehen. Exemplarisch soll hier die Geschichte von Herrn M., eines Patienten einer physiotherapeutischen Praxis aus dem Raum Frankfurt wiedergegeben werden. Herrn M. sei an dieser Stelle für sein Einverständnis und die freundliche Überlassung seiner Unterlagen gedankt.

Herr M. stellte sich im Spätsommer 1999 mit akuten Beschwerden seiner HWS und LWS bei einem Orthopäden in einer orthopädischen Praxis in Frankfurt vor. Die von Herrn M. geschilderten Symptome ließen den Verdacht auf eine ernstzunehmende radikuläre Symptomatik zu, die einer gründlichen diagnostischen Abklärung bedurft hätte. Es erfolgte jedoch nach Angaben von Herrn M. nicht die bei Orthopäden sonst übliche medizinische Untersuchung, sondern lediglich eine oberflächliche Inspektion. Als “Diagnose” bescheinigte der Orthopäde Herrn M. ein “myostatisches Cervikalsyndrom”. Der Trainingszustand seiner Nackenmuskulatur sei derartig schlecht, dass dieser nur noch mit der von ihm verordneten MedX-Therapie zu verbessern sei. Mit anderen Maßnahmen sei seiner Beschwerdesymptomatik nicht beizukommen. Zum Zwecke dieser Therapie solle solle er sich in ein “Reha-Zentrum” im Frankfurter Westend begeben, dessen Hochglanzprospekt er ihm in die Hand drückte.

Herr M., der nicht wußte, dass es sich bei diesem “Reha-Zentrum” lediglich um ein Fitness-Center mit pseudomedizinischem Ambiente handelt, begab sich arglos in die Hände eines “Therapeuten”, der ihn sogleich auf ein MedX-Trainingsgerät setzte. Es erfolgte vor Beginn der Therapie weder eine Eingangsuntersuchung oder Befragung zu seinen Beschwerden, noch waren auf der Verordnung detaillierte Angaben zu der durchzuführenden Behandlung enthalten, die einen Verzicht hierauf gerechtfertigt haben könnten. Es erfolgte schon gar kein vorbereitendes Aufwärmprogramm, wie man es vor dem Training an Kraftgeräten erwarten dürfte. Lediglich Alter, Körpergröße und Gewicht des Patienten wurden in einen Rechner eingegeben, der diese Daten in einem Standard-Trainingsprogramm ohne individueller Anpassung verarbeitete.

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Die Übung, welche Herr M. anschließend an diesem Trainingsgerät zu absolvieren hatte, bestand darin, dass er mit seinem Hinterkopf gegen ein an einem Hebelarm geführtes Polster drücken sollte. Über den Hebelarm wurde ein hydraulischer Widerstand gegen seinen Kopf ausgeübt. Auf einem vor ihm plazierten Monitor konnte Herr M. hierbei die durchgeführte Bewegung in ähnlicher Weise verfolgen, wie es von isokinetischen Systemen her bekannt ist, nur dass die MedX-Geräte vergleichsweise primitiv, dafür in der Anschaffung jedoch erheblich billiger sind.

Kaum, dass Herr M. mit seiner Übung begonnen hatte, verstärkten sich seine HWS-Beschwerden derartig, dass er am liebsten augenblicklich aufgehört hätte. Der für ihn zuständige “Therapeut”, nach dem Eindruck von Herrn M. ein aushilfsweise beschäftigter Student ohne medizinisches Fachwissen, gab jedoch zu verstehen, dass dies bei allen Patienten der Fall sei und lediglich als gutes Zeichen dafür zu werten sei, dass die Therapie positiv anschlagen würde. Im guten Glauben darauf, dass dies so sein müsse, setzte Herr M. seine “Therapie” unter Schmerzen fort und schöpfte wegen der Worte des “Therapeuten” auch zunächst keinen Verdacht, als die Beschwerden sich zusehends verschlimmerten. Erst als diese unerträglich wurden, brach Herr M. seine Übungsserie entnervt ab und stornierte alle weiteren Termine. Zwar wurde er von mehreren “Behandlern” inständig gebeten, die “Therapie” doch fortzusetzen, sein gesunder Menschenverstand hielt ihn hiervon jedoch ab.

Herr M. wunderte sich nicht schlecht, als er die Rechnung für seine Folter-Session enthielt und hierauf die Kontonummer seines Orthopäden entdeckte. In der Annahme, dies sei ein Versehen, setzte Herr M. ihn von dem vermeintlichen Fehler in Kenntnis. Der Orthopäde entgegnete jedoch, dass es sich hierbei zwar um einen Fehler handeln müsse, Herr M. aber dennoch den Rechnungsbetrag auf die angegebene Kontonummer überweisen solle. Er wolle sich dann selbst um die Korrektur des Fehlers bemühen.

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Da er davon ausging, seine private Krankenversicherung würde die - übrigens astronomisch hohen - Kosten für die MedX-Therapie übernehmen, reichte Herr M. seine Rechnung zur Erstattung ein. Die Versicherungsgesellschaft lehnte jedoch die Erstattung mit der Begründung ab, dass Sie mit dem Begriff MedX-Therapie nichts anfangen könne und hierin keinen medizinischen Sinn sähe. Sie forderte Herrn M. daher auf, eine medizinische Begründung des verordnenden Arztes vorzulegen, bevor sie hierfür die Kosten tragen könne.

Bereitwillig stellte der Orthopäde die Bescheinigung aus und attestierte Herrn M., die MedX-Therapie sei für ihn medizinisch erforderlich. Herr M. habe die MedX-Therapie, so der Orthopäde in dem uns vorliegenden Schreiben an die Versicherungsgesellschaft, ausgesprochen gut vertragen. Es sei allerdings bis zur vollständigen Genesung eine Serie von 10 weiteren Therapieeinheiten medizinisch erforderlich...

Die Falschen Angaben des Orthopäden hatten immerhin zur Folge, dass die Versicherungsgesellschaft die Kosten für die MedX-Therapie übernahm, so dass es nicht Herr M. war, dem das Geld aus der Tasche gezogen wurde, sondern seine Versicherungsgesellschaft. Allerdings trägt die Gemeinschaft der Versicherten letztlich alle Kosten selbst.

Bemerkenswert an der Rechnung des Orthopäden war, das hierin das unspezifische und ausgesprochen unfunktionelle Gerätetraining als "funktionelle Entwicklungstherapie bei Ausfallschäden” bezeichnet und mit dem Faktor 2,3 berechnet wurde. Das als “Beiprogramm” gleichfalls verordnete Trainingsprogramm, welches ohne individuelle Anleitung und Aufsicht an konventionellen Trainingsgeräten zusätzlich absolviert wurde, wurde Herrn M. als “Krankengymnastische Ganzbehandlung” mit dem Faktor 1,8 in Rechnung gestellt. Der zu zahlende Gesamtbetrag für diese ärztlich verordnete Peinlichkeit belief sich auf Sage und Schreibe DM 90,43 für eine einzige Sitzung und liegt damit etwa zweimal so hoch, wie eine seriös erbrachte physiotherapeutische Einzelbehandlung mit vollem Therapeuteneinsatz. Für diesen Betrag hätte man in fast jedem x-beliebigen Fitneßstudio bei kaum schlechterer medizinischer Kompetenz nicht nur eine erheblich bessere Leistung erhalten, sondern gleich einen ganzen Monat inklusive Saunabesuch und Wellness-Aktionen trainieren können! [...]

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Motiviert durch die Geschichte des Herrn M. wurden mehrere Privatpatienten, welche zuvor bei dem gleichen Orthopäden zur Behandlung waren, befragt, ob ihnen Ähnliches widerfahren sei. Alle befragten Patienten gaben hierbei an, einen Besuch des Fittness-Centers im Frankfurter Westend entweder verordnet oder aber wenigstens wärmstens empfohlen bekommen zu haben. Unter diesen Patienten befindet sich auch ein Facharzt, der wegen eines akuten Bandscheibenvorfalles kollegiale Hilfe suchte und anstelle eines vernünftigen Therapievorschlages selbst bei dieser Diagnose das Center empfohlen bekam.

Der Arzt, welcher das fragliche Fitness-Center betreibt, ist Insidern bestens bekannt. Noch vor nicht allzu langer Zeit unterhielt er parallel zu seiner Praxis im Taunus in der Frankfurter Niederlassung einer bekannten Fitness-Kette ein Arztzimmer, in dem er sich seinen Privatpatienten als “Facharzt für Kräftigungstherapie” zu erkennen gab. Auch hier war es an der Tagesordnung, arglose Privatpatienten über Rezept erbarmungslos abzukassieren. So ist beispielsweise ein Fall dokumentiert, wo einem am Kniegelenk frisch operierten Patienten auf Verordnung dieses Arztes für jede einzelne Therapieeinheit fast DM 200,- für Therapiemaßnahmen berechnet wurden. Die Therapieeinheiten bestanden indes darin, wie sollte es auch anders sein, dass der Patient selbständig an einem EDV-gesteuerten Trainingsgerät ohne therapeutische Begleitung, dafür aber unter umso heftigeren Schmerzen trainieren durfte. Getarnt war auch diese Rechnung als umfassende physiotherapeutische Einzelbehandlung, um den hohen Rechnungsbetrag gegenüber der Versicherungsgesellschaft durchsetzen zu können, ohne dass diese von dem Betrug Verdacht schöpfen würde.

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Die Masche der therapeutischen Mogelpackung hat in Frankfurt System und beschert den hieran beteiligten Ärzten einen wahren Geldregen auf Kosten der Gesundheit nicht weniger Privatpatienten. Diese schöpfen zunächst keinen Verdacht, da ja ihre Krankenversicherung die Kosten letztlich übernimmt. Außerdem sind viele Patienten von dem pseudomedizinischen EDV-Equipement derartig beeindruckt, dass sie nicht merken, dass es sich hierbei lediglich um Augenwischerei und Blendwerk ohne medizinischen Hintergrund handelt. Da den Patienten regelmäßig attestiert wird, dass ihre Beschwerden nur die Folge einer zu schwachen Muskulatur seien, schöpfen diese zunächst keinen Verdacht, wenn ihre Therapie lediglich aus einem primitiven Krafttraining, wenngleich an eindrucksvoll anmutenden Geräten besteht. Manche Privatpatienten genießen auch den Umstand, dass es ihnen via orthopädisch verordneter Physiotherapie erspart bleibt, den Monatsbeitrag für ihr Fitness-Studio aus der eigenen Tasche bezahlen zu müssen. Dass hierbei für eine vergleichbare Leistung locker der zehnfache Preis berechnet wird, wird gern in Kauf genommen. Schließlich bezahlt ja die private Krankenversicherung! Angesichts dieser enormen Aufwendungen kann man es dann fast wieder verstehen, wenn sich manche Privatversicherung nicht mehr in der Lage sieht, angemessene Honorare für seriös erbrachte physiotherapeutische Leistungen zu erstatten...

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Es ist traurig aber leider wahr, dass einige wenige Ärzte, motiviert durch rücksichtsloses Profitstreben das Ansehen ihres eigenen Berufsstandes mit den Füßen treten. Viel trauriger ist es, dass sich gleichfalls Physiotherapeuten/innen vor den Karren dieser Geschäftemacher spannen lassen und einem seriösen Umgang mit behandlungsbedürftigen Patienten den Rücken kehren. Das Wohl der Patienten spielt hierbei, wenn überhaupt, nur eine völlig untergeordnete Rolle. Allen, die diese Zeilen lesen, bleibt nur die Möglichkeit, Privatpatienten gezielt über die ihnen drohenden Gefahren aufzuklären und zur Wachsamkeit anzuhalten.

Der Name des Verfassers ist der Redaktion bekannt.

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