Fitneßstudio statt Physiotherapie?
Laientherapie mit ärztlichem Segen!
(Abschrift eines Berichtes aus nebenstehender Fachzeitschrift, Heft 2/1997)

Im Einzugsbereich meiner Praxis erlebe ich zunehmend, daß Patienten anstelle einer Verordnung über “Physiotherapie” die Empfehlung bekommen, ein Fitneßstudio aufzusuchen. Wenn dies ein neuer Trend ist, das Heilmittelbudget zu entlasten, dann wird es Zeit, die Fitneßstudios in ihrer Heilmittelerbringer-Funktion unter die Lupe zu nehmen. Bei den Patienten, die in diesen Einrichtungen “behandelt” werden sollten, handelt es sich - soweit mir bekannt wurde - keineswegs um Personen mit Trainingsmangelerscheinungen, sondern um Patienten mit ernstzunehmenden Funktionsstörungen und Verletzungen des Bewegungssystems: Z. n. operativ versorgter Humerus-Trümmerfraktur, Z. n. operativer Versorgung einer Läsion des vorderen Kreuzbandes, Spondylolisthese L4/5 mit ausgeprägter Ventrolisthese, Z. n. arthroskopischer Menisectomie und retropatellärer Knorpelglättung, Z. n. Schulterluxation etc.

 

Fitness-Studios im Vergleich
- ein Selbstversuch
-

Um einen Überblick über die gängige Trainingspraxis und die Qualifikation der Fitneßstudios in der näheren Umgebung meiner Praxis zu erhalten, Habe ich mit der Unterstützung von Frau K., einer Patientin, einen Probelauf gestartet. Hierzu haben wir in den vergangenen 18 Monaten insgesamt 24 Fitneßstudios im Main-Taunus-Kreis und einigen angrenzenden Orten aufgesucht. Wir vereinbarten jeweils ein Probetraining und gaben vor, auf Empfehlung unseres Orthopäden zu kommen. Unsere “Diagnosen”: Verletzung des vorderen Kreuzbandes und deswegen notwendiges Training der Oberschenkelmuskulatur; Gleitwirbel L4/5 und deswegen Training der Bauch- und Rückenmuskulatur. Wir wollten erfahren, ob der verantwortliche Trainer uns ein Programm zusammenstellen würde, das in den entscheidenden Punkten unseren “Diagnosen” gerecht wird und dem “Therapieziel” angemessen ist. Fast alle von uns aufgesuchten Studios rühmten sich ihrer Erfahrungen mit Rehabilitationsprogrammen. Als Qualifikationsnachweis wurde regelmäßig betont, daß man mit den lokalen Krankenkassen gut zusammenarbeite, wobei die AOK besonders häufig lobend erwähnt wurde. In einem Studio wollte man uns sogar direkt für diese “Gesundheitskasse” anwerben, mit dem Hinweis darauf, das wir bei einem Kassenwechsel mit einem Zuschuß zum Studio-Mitgliedsbeitrag rechnen könnten.

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Unsere Beschwerden
interessierten (fast) niemanden

Da sich - außer einem Studio in Steinbach - niemand nach unseren genauen Beschwerden erkundigte, mußten wir annehmen, daß die Trainer so erfahren sind, daß sie allein aus der Diagnose einen adäquaten Trainingsplan ableiten können. Diese Erwartung wurde jedoch in der überwiegenden Zahl der Fälle schwer enttäuscht.  Immerhin schienen in manchen Studios durchaus einige Kenntnisse über rückenschonendes Training der Rumpfmuskulatur zu bestehen. So empfahl man uns zum Teil Übungen, die auch in einer physiotherapeutischen Behandlung ihren Platz haben können - wenngleich nicht bei der geschilderten Diagnose. Die Kenntnisse über die spezifische Problematik im Umgang mit einer Spondylolisthese waren allgemein unbekannt.

 

Auch ein Arzt erwies sich
als inkompetenter Trainer

Nur in wenigen Studios gewannen wir hinsichtlich der Übungsauswahl einen zurückhaltend positiven Eindruck. In der Mehrzahl konnten wir uns glücklich schätzen, nicht tatsächlich eine Spondylolisthese zu haben! In einem Studio in Hofheim wurden wir sogar von einem Trainer, der sich via Namensschild als Arzt zu erkennen gab, zu Sit-Ups mit gestreckten Kniegelenken auf einer schräggestellten “Römischen Liege” [gepolstertes Brett mit Vorrichtung zum Einklemmen der Füße] aufgefordert. Zwar hatte Frau K. diese Übung selbst ausgewählt, als ihr freigestellt wurde, eine Übung vorzuschlagen. Wir rechneten jedoch damit, das der Arzt ihr diese Übung ausreden würde, da sie bei einer Spondylolisthese nun wirklich denkbar ungeeignet ist. Fehlanzeige! Der Arzt bewunderte lediglich den guten Trainingszustand von Frau K. und hatte selbst dann keine Bedenken gegen eine Fortführung der Übung, als Frau K. als Frau K. über angebliche Rückenschmerzen und Stiche in den Beinen klagte.

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Nicht überall reicht der Rücken
vom Becken bis zum Kopf

Die Übungsvorschläge für die Rückenmuskulatur beschränkten sich überwiegend auf den lumbalen Abschnitt der langen Rückenstrecker und endeten zumeist in einer hyperlordotischen Endstellung. Hierbei sollte nicht selten aus dem Oberkörperüberhang mit fixierten Beinen trainiert werden. Die mangelhafte Ausstattung mit geeigneten Trainingsgeräten für ein rückenschonendes Training mit geführten Gewichten fiel in besonders vielen Studios auf. Lediglich in drei Studios wurde die Aufgabe “Bauch- und Rückenmuskeltraining” zufriedenstellend gelöst (Hofheim - jedoch nicht das Studio mit ärztlicher Betreuung, Eschborn und Steinbach). Die Studios in Eschborn und Steinbach zeichneten sich zusätzlich durch vernünftig angeleitete Streching-Übungen und Abwärmprogramme nach dem Training aus. In vier weiteren Studios wurden wir zwar nicht diagnosespezifisch trainiert, jedoch wurden wir hier zumindest nicht mit unphysiologischen Extremübungen konfrontiert, die unsere Gesundheit nachhaltig gefährdet hätten.
Um die übrigen 17 Studios sollte man mit Rückenbeschwerden lieber einen großen Bogen machen, selbst wenn die AOK den Mitgliedsbeitrag anteilig und die anschließend notwendige Heilbehandlung komplett übernehmen sollte.

 

Das Vordere Kreuzband - im Fitneßstudio
ein unbekanntes Wesen

Weit mehr Probleme als der Gleitwirbel bereitete fast allen Trainern die angebliche Verletzung der vorderen Kreuzbandes. Es fehlte in den Studios nicht nur an geeigneten Trainingsgeräten, sondern vor allem an den grundlegenden Kenntnissen über dieses funktionelle Problem und seine Behandlung. Immerhin war in zwei Studios (Eschborn - seinerzeit übrigens noch unter der Leitung eines Physiotherapeuten - und Steinbach) bekannt, daß einer Kräftigung der ischiokruralen Muskulatur besondere Bedeutung zukommt. Alle anderen Trainer legten entweder überwiegend oder gar ausschließlich Wert auf ein Training des M. Quadriceps. Auch bei der Realisierung dieses “Therapiezieles” waren sich diese Trainer offenbar einig, denn es wurde ausschließlich die isolierte Kniestreckung im Sitzen am Beinstreck-Gerät, mit distalem Hebel, bei 80 - 90° Hüftflexion und beidbeiniger Bewegungsausführung propagiert - was soll man da noch fragen?

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Zwei kamen durch

Zwei von 24 Fitneßstudios waren in der Lage, zu der von mir gewählten Fragestellung ein therapeutisch vertretbares Aufbautraining anzubieten. Es erstaunt nicht, daß in beiden Studios mehrere therapeutisch ausgebildete Trainer arbeiten oder damals gearbeitet haben. Das hier angebotene Leistungsspektrum wird jedoch nicht der Situation einer akuten Verletzung gerecht, sondern kann bestenfalls als Ergänzung zur Physiotherapie in einem fortgeschrittenen Therapiestadium gesehen werden. In diesem Stadium wird jedoch von einem Großteil der Orthopäden ohnehin nicht mehr der Rezeptblock gezückt, da vielen Patienten - aus Budgetgründen - die Rehabilitation allenfalls bis zur Fähigkeit zur Ausübung einer sitzenden Tätigkeit zugestanden wird. Doch auch gut geführte Fitneßstudios sind kein Ersatz für eine physiotherapeutische Einzelbehandlung in diesem Therapiestadium, weil die erforderliche Betreuung und Beaufsichtigung dort - über die Einführung hinaus - nicht geleistet werden kann.

 

Wir müssen aufklären

Der Probelauf von Frau K. und mir war kein standardisierter Test, aber er zeigt, daß in der Tendenz Fitneßstudios zur Rehabilitation von Erkrankungen und schwerwiegenden Verletzungen des Bewegungssystems nicht geeignet sind. Dem Patienten und auch dem Arzt, dem vielleicht in vielen Fällen Unkenntnis mildern zugestanden werden kann, wird durch die Werbung vorgegaukelt, daß hier preiswert ein Therapie-Äquivalent zu bekommen sei. Wenn selbst die Krankenkassen als Werbepartner auftreten, wird es für den Laien noch schwieriger, durchzublicken. Es liegt also an uns, aufzuklären: den Patienten, den Arzt und die Krankenkassen. Hierzu ist dieser Beitrag gedacht. Außerdem soll er eine Anregung sein, in anderen Städten ähnliche Untersuchungen zu starten, um weiteres Aufklärungsmaterial zu gewinnen.


Anschrift des Verfassers:
Michael Lierke
Avrilléstraße 3
65824 Schwalbach am Taunus

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KG-Zeitung, Heft 2/97
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